person / person werden
vorneweg:
das fühlt sich alles wie ein umweg an
person
persönlich
werden
– im juni in bern
es hat dreißig grad
alle menschen sind draußen
alle paar meter springen
menschen in die aare
ich möchte schwimmen
fühle mich beobachtet
habe angst
vor dem strom
aus wasser
aus menschen
die da auf
und abströmen
den weg entlang
und kein meter platz
unbeobachtet zu sein
ich laufe eine stunde lang
die aare entlang
auf der suche nach einem platz
den perfekten platz
den idealen platz
den platz in mir
der dafür offen ist
mit anderen wäre es
etwas anderes
früher war ich alleine leicht
jetzt bin ich alleine schon schwer
ich gehe immer weiter
und weiter
bis das freibad kommt
es ist gratis
dort wäre es sicher wird mir gesagt
was mir nicht gesagt wird
was ich mir aber hätte denken können
dort sind noch mehr menschen
und gefühlt blicken sie mich alle an
bleibe keine sekunde stehen
alle sind in badekleidung unterwegs
ich will nicht oben ohne gehen
ich fühle mich nicht mehr wohl
ich gehe das ganze freibad entlang
dann drehe ich um
gehe das freibad entlang wieder zurück
und gehe dann verschwitzt einen steilen weg hinauf
um wieder auf das obere plateau der stadt zu gelangen
von dort aus
ziehe ich einen strich
bis zu meinem hotel
folge diesem strich
laufe die treppen hoch
und falle ins frischbezogene bett
ich wäre heute also damals gerne in der aare geschwommen
versuch der vorstellung
gestern also damals in der aare geschwommen zu sein
könnte ich
würde ich
glauben sie mir
ich würde
könnte ich
so würde ich
diesen
diesen schritt
zurück
diesen schritt
zurück gehen
wäre wieder
wie zuvor
ein anderes ich
ich nicht
ein anderes
nicht ich
es wäre leicht
es war auch vieles leichter
nur die existenz selbst schwer
aber der alltag leicht
ich habe mir
weniger gedanken gemacht
hatte weniger angst
habe angezogen was ich anziehen wollte
also was ich glaubte anziehen zu wollen
und es war okay
ich habe nicht bei jedem blick
anderer menschen zu schwitzen begonnen
nur bei jedem zweiten
ich war schwimmen
und schwomm einfach
ohne mir gedanken zu machen
was da schwimmt
wer da schwimmt
nur bin ich irgendwann
umgefallen
umgetreten
zur seite
bei seite getreten
stand da auf einmal
neben mir und sah mich an
sah mich an und sah mich nicht
das war nicht ich
das war ich
nur nicht
ich eben
unter badewannenschaum
ist alles vorstellbar
ist jeder körper
denkbar
ist jeder körper
dankbar
sein zu können
ohne dass etwas kratzt
kein verkaufsschild schürft mehr
unter kleidungsschichten
die hautschichten
die geschichten
eingeschrieben
eingekratzt
wie spuren von fingern
die begehren bedeuten
deuten mir
–
person zu werden
person zu werden
bedeutet
persönlich zu werden
es wird schnell persönlich
wenn es darum geht
wer person ist und wer nicht
vor allem wenn person neue wege begeht
von angestammter seite abweicht
bereits breitgetretene wanderwege verlässt
die frage ist
welche wege muss ich gehen um person zu werden?
wie generiere ich eine person
in einer gesellschaft
in der die behörden determinieren
wer person ist
nicht die personen selbst
wir werden benannt
wir werden dokumentiert (erst dann rechte erst bürger*in dann mensch)
wir werden verschlagwortet
wir sind notizen
abgestempelt
gebunden an namen
die an uns kleben
wie angeboren
wie geburtsnamen
wie totes gewebe
wie geschlechtseinträge
die mehr schlecht als gerecht passen
passen
passend sein
passend gemacht sein
passiert sein (wie spinat)
um zu passieren
flüssig zu werden
die passage zu durchschreiten
The glitch is a passage through which the body traverses toward liberation, a tear in the fabric of the digital.
– Glitch Feminism, Legacy Russell
wie ziehe ich mich für diesen anriss
wie ziehe ich mich für diesen anlass an
wenn dieser anlass
einen bestimmten gang erfordert
es gibt kein schlechtes wetter
es gibt nur eine schlechte ausrüstung
welche ausrüstung
welche schuhe
welche jacke
rüsten mich für verfahrenswege
für lebenswege
ich stolpere
und der glitch
beschreibt dieses stolpern
das unvermeidliche stolpern
das als mensch in die welt gesetzt
irgendwann beginnt
dann weniger wird
bis wir denken
das gehen gemeistert zu haben
bis wir merken
wir können nicht nur zu fuß stolpern
auch gedanklich
auch metaphorisch
auch hier
an diesem
abend
lässt es sich stolpern
aus der seite fallen
zur seite fallen
wenn der wegesrand
ein abgrund ist
ist der sturz abgrundtief
oft fallen wir flach
stützen uns ab
stützen uns
gegenseitig
unterstützen
auf den wegen
am anfang stand eine sammlung von wegen
die nicht alle beschritten wurden
abweg
amtsweg
atemweg
ausweg
bremsweg
fischweg
fluchtweg
funkweg
geheimweg
handelsweg
hinweg
holzweg
irrweg
karriereweg
kiesweg
kurzer weg
langer weg
lebensweg
leidensweg
rückweg
rundweg
scheideweg
schicksalsweg
schlichtweg
serpentinenweg
spazierweg
treppelweg
übertragungsweg
umweg
verfahrensweg
versandweg
waldwipfelweg
wasserweg
weitwanderweg
sie sehen:
eine ganze reihe an wegen
das internet hilft wege zu finden
dieser weg
soll ein öffentlicher sein
soll nach außen treten
eine bewegung von innen
nach außen beschreiben
ich allein kann sein wer ich will
ich zu bleiben
wenn ich unter leuten bin
das ist was ich will
das ist
was das lyrische ich will
eine poetik queerer wege
verbindungswege offenlegen
die queeren räume und die poetik dieser räume
zu möglichkeitsorten machen
möglichkeitsort rax 1998
der versuch einer wanderung
ohne meine mama in den arm zu beißen
weil ich sonst später einen roman schreiben muss
nur ein bild von diesem tag
ich kariertes baumwollhemd
wanderweg
spazierweg
rundweg
kiesweg
zwei hände die mich halten
zwei eltern die mich halten
und keine tränen im gesicht
auch nicht in dem meiner mama
nur ein wenig schnee
weiter oben
dort wo wir nicht sind
sonne glitzert darin
augen blinzeln
ein abzug
abzüglich der erinnerung
frage meine mama nach der wanderung
nach der sache mit dem biss
und verlasse den möglichkeitsort
tränen mischen sich
ins bild
ins gesicht
in meines
in das meiner mama
mein papa der beruhigt
der tröstet
ich habe nicht geweint
wegen dem biss
sagt meine mama
es hat wehgetan
mein kind nicht zu verstehen
sagt sie
und ich verstehe die sache mit dem verstehen
verstehe dass es verständnis ist
wonach ich suche
ich habe keine worte
ich habe alle worte
sie fallen mir nicht zu
sind mühsam erarbeitet
ich beginne ›schwul‹ zu lieben
ich stelle mich quer zur norm und werde ›queer‹
ich starte als ›arbeiter*innenkind‹
werde zunehmend ›bürgerlich‹
ich ›gehe in den park‹
und meine mama versteht mich wenn ich ihr das sage
ich habe als kind eine ›wahrnehmungsstörung‹
werde erst ›integrationsschüler*in‹
dann zum ›computerköpfchen‹
mache jahre später eine diagnostik
und werde ›autist*in‹
bin es immer schon
ich bin kein mann der vielen worte
ich bin kein mann
ich bin ›trans‹
ich bin das dazwischen
das darüber hinaus
queere wege sind unbeschildert
sie haben keine markierung
keine wegweiser
keine zeitangaben
und ich verspüre lust
neue wege zu erwandern
und mit straßenkreiden
male ich dann regenbögen
auf baumrinden